Toxic Positivity

Be the best version of yourself — Please don't

Be the best version of yourself — Please don't.

Eine ältere Dame und ich schwitzen nebeneinander im Fitnessstudio. Simultan wundern wir uns darüber, dass auf einmal soviel Menschen an den Geräten sind. “Ach ja”, sagt sie. “Es ist ja wieder Januar.“

Neujahr. Neue, alte Vorsätze bevölkern die Köpfe, Chats und Instagram Feeds. Üblicherweise möchte man “Mehr” oder “Weniger” von etwas. Die Annahme ist, dass im nächsten Jahr vieles anders wird. Komischerweise haben sich die Dinge nach ein paar Wochen wieder erledigt. Gewohnheitsstier Mensch. Ach stimmt. Wir sind ja doch keine Maschinen.

Coaching Mythos

Dieser Coaching Mythos von “Du kannst alles erreichen, wenn du nur willst” und “Be the best version of yourself” ist einfach Bullshit.

Wie, du hast dein Leben noch nicht durchoptimiert?
Du performst noch nicht auf der Perfektionsstufe mit maximaler Umdrehung im Dauerlauf ohne Pause? Immer Gas geben und nie auf die Bremse treten
?
Happy Burnout.

Das Stichwort “Toxic Positivity” bringt es gut auf den Punkt. Nicht alles muss positiv umgedeutet werden als eine Opportunity oder Challenge. Einiges ist auch einfach Scheiße. Macht wütend, hilflos oder traurig. Und nach der Emotion bleibt das Lernen von Akzeptanz und Demut. Und was daraus folgt: die Konsequenz.

Ich frage mich: Was würde passieren, wenn wir alle die beste Version von uns wären? Das kann bedeuten, es gäbe kein Lernen mehr, keine Fragezeichen oder Unsicherheiten. Wir würden mit nur EINER Emotion durch unser Leben schreiten in einer ziemlich perfekt langweiligen Abfolge von Routinen. Was gäbe es noch zu erzählen? Keine Heldengeschichte ist erzählenswert ohne Probleme, Überraschungen und Wendungen.

Die beste Version

Die beste Version. Wer entscheidet das? Aufgrund von welchen Maßstäben? Die beste Version etwa, die wir in den (sozialen) Medien konsumieren?

“Das Vergleichen ist das Ende des Glücks
und der Anfang der Unzufriedenheit.”

Sören Kierkegaard


Mit der Digitalisierung haben wir unendliche Vergleichsmöglichkeiten in die Hand bekommen. Das ist auch erstmal kein Problem, solange es nicht als Druck erlebt wird. Ich erlebe jedoch einige Klienten, die sich unglaublich viel Druck machen. Weil sie sich an Maßstäben orientieren, die unrealistisch erscheinen. Oder nicht langfristig gesund sind.

Die gut mögliche Version

Ich plädiere dafür eine gut mögliche Version von sich selbst zu werden. Dinge anzugehen, die gut zu dir passen und mit deinen Werten und Lebensmotiven im Einklang stehen. Und nicht ungefragt extern motiviert ist. Etwas, was dich persönlich anspornt, aber auch nicht über alle Maßen überfordert. Wer ständig über seine eigenen Grenzen geht, wird heimatlos.

Einkehr, Muße und Kontemplation

Natürlich ist es möglich sich zu verändern. Sogar zum Besseren. Aber der perfektionistische Druck des “Bestmöglichen” kann lähmend wirken. Was ist mit diesen schönen Wörtern der Einkehr, Muße oder Kontemplation? Sie sind noch da. Wir können sie nutzen.

Zum Nutzen, dass ein Timeslot mal keinen dezidiert zugewiesenen Nutzen hat und uns unseren Zielen dienen muss. Weniger verfügbar zu sein für die Beschleunigungsunlogiken in der gehetzten, schnellen Moderne (siehe dazu die Bücher von Hartmut Rosa).

Wenn du im Bereich x mehr machen möchtest, ist es oft hilfreich im Bereich y weniger zu machen. Sonst steht am Ende des kommenden Jahres: Ich habe mir wieder zu viele Dinge vorgenommen. Und dem unangenehmen Gefühl es (wieder) nicht geschafft zu haben.

Wann genieße ich mich eigentlich so richtig, richtig?
Wie arbeite ich eigentlich wirklich, wirklich gut (und gerne)?
Wie viel Screentime brauche ich (nicht)?

Happy New Goals.